Schwanger und selbstständig: Es braucht endlich eine Reform des Mutterschutzes!

Schwanger und selbstständig: Es braucht endlich eine Reform des Mutterschutzes!

Startdatum
5. März 2022
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Warum ist diese Petition wichtig?

Gestartet von Johanna Röh

Ich bin Johanna Röh, Tischlermeisterin und habe nach meinen Gesellinnen-Jahren auf der Wanderschaft, meine eigene Werkstatt aufgebaut. Die Selbstständigkeit ist gut angelaufen - die Auftragsbücher sind voll - alles soweit super.

Im Herbst letzten Jahres wurde ich schwanger. Es war eine geplante Schwangerschaft und doch habe ich nicht damit gerechnet, wie wenig dieser Schritt ins "System" passt. Ich kann jetzt schon sagen: hätte ich nicht das Privileg, dass mich die Arthur Francke'sche Stiftung unterstützt und mein Mann genug verdient, um mich während der Schwangerschaft mit zu versorgen, könnte ich mich während dieser Zeit weder selbst ernähren, noch die Fixkosten des Betriebes erwirtschaften. Mich als Einzelunternehmerin würde das betrieblich und auch privat komplett ruinieren. Nicht auszudenken, wie es wäre, wenn ich ungeplant oder solo schwanger wäre...

Eine Schwangerschaft darf keine Existenzbedrohung darstellen. Es braucht deshalb eine umfassende Reform des Mutterschutzes.

Meine bisherigen Erfahrungen als schwangere Chefin im Handwerk:
Die erste Hürde hatte ich durch meine Hyperemesis (Schwangerschaftsübelkeit), die bei mir bis zu Ende des 5. Monats angehalten hat. Krankengeld bekomme ich laut Krankenkasse in dieser Zeit nicht, weil die Berechnung des Krankengeldes noch in den Beginn der Gründungsphase fällt, in der ich viel investiert und wenig Einnahmen hatte. Auch wenn sich die Hyperemesis mittlerweile gelegt hat, bleibt die Frage, welche Arbeiten ich während der Schwangerschaft noch ausführen sollte oder mit der fortschreitenden Schwangerschaft überhaupt ausführen kann. 

Als angestellte Tischlermeisterin hätte ich direkt zu Beginn der Schwangerschaft ein Beschäftigungsverbot bekommen, da die gesundheitlichen Gefahren in meinem Beruf für mich und das Baby zu gravierend sind. Als Selbständige muss ich es mir leisten können, nicht zu arbeiten, da es keinerlei Absicherung für mich gibt. Die meisten Schwangeren in meiner Situation geben ihren Betrieb auf oder stehen hochschwanger auf der Leiter, an den Maschinen und im Bankraum.

Jetzt müsste ich mir einen finanziellen Puffer für die Zeit des Mutterschutzes zulegen, damit ich nicht im Wochenbett wieder in die Werkstatt muss. Andererseits sollte ich zurzeit aber keine Einnahmen haben und darf noch nicht einmal zu Büroarbeit fähig sein, um Anspruch auf Krankengeld zu haben. Dazu kommt: Wenn ich keine gesundheitliche Gefährdung für Kind und mich eingehen möchte, darf ich fast keine Tätigkeiten meines Berufes ausführen. Dass die Fixkosten einer Tischlerei durchgehend anfallen und eine mögliche Krankengeldzahlung ohnehin bei weitem übersteigen, macht die Situation nicht einfacher.

Von der Liquidität und Fortführung des Betriebes hängen auch meine Auszubildende und mein Geselle ab. Unser Beruf ist gesucht. Die Menschen wollen individuelle, nachhaltige und langlebige Möbel. Gerade hier in der Gegend bin ich konkurrenzlos und könnte mit meinem Betrieb ein Vorbild für andere junge Unternehmer*innen sein. Dies sollte weiterhin die Geschichte einer erfolgreichen Gründung im ländlichen Raum sein. Bei der jetzigen (Nicht-) Regelung muss sich erst noch zeigen, ob das möglich ist. Und an ein Geschwisterkind ist unter diesen Umständen nicht zu denken, weil wir so definitiv keine zweite Schwangerschaft stemmen könnten.

Über die sozialen Medien sind Astrid Hilt vom Verein Handwerksgrün und Maxime Krämer mit mir in Kontakt getreten, die mich mit meinem Anliegen unterstützen. Gemeinsam mit anderen Betroffenen haben wir folgende Forderungen ausgearbeitet, um in Zukunft zu verhindern, dass Betriebe schließen müssen, wenn die Chefin schwanger wird.

Schwangerschaft ist keine individuelle, tragische Krankheit und sollte deshalb auch nicht als solche verwaltet werden!

  • Wir fordern:
    Voll bezahlten gesetzlichen Mutterschutz. (Aktuell erhält eine Selbständige maximal 13,00 € / Tag - was hinsichtlich der laufenden Kosten eines Betriebs nicht einmal der „Tropfen auf den heißen Stein“ ist. Außerdem wird diesen Geld mit dem Krankengeld verrechnet.
  • Die Ausweitung der Ausgleichszahlungen für werdende Mütter auch an schwangere Selbständige in Berufen, die für Angestellte unter das Beschäftigungsverbot für Schwangere fallen.
  • Im Falle einer Krankschreibung aufgrund von Schwangerschaftsbeschwerden die Zahlung des Krankentagegeldes ab dem ersten Tag der Krankschreibung.
  • Die Regelungen für das Krankengeld müssen an die Realität von Selbständigen angepasst werden - verzögerte Zahlungseingänge dürfen nicht mit angerechnet werden. Das Krankengeld muss auf der Grundlage der gezahlten Beiträge berechnet werden und nicht auf der Grundlage des ausgefallenen Arbeitseinkommens. Außerdem muss in körperlich fordernden Berufen anerkannt werden, dass Schreibtischarbeit kein Arbeitseinkommen generiert. Desweiteren keine Abzüge beim Krankengeld – 70% der Bemessungsgrundlage sind in den meisten Fällen gerade für Gründerinnen und Solo-Selbstständige nicht genug.
  • Einrichten von Notfalltöpfen, um die Betriebe von selbstständigen Schwangeren vor Insolvenz zu schützen. Insolvenzen aufgrund einer Schwangerschaft müssen verhindert werden. Das finanzielle Auskommen der Schwangeren muss gewährleistet werden.
  • Einrichtung eines Systems aus Betriebshelfer*innen nach Vorbild der Landwirtschaft, um Betrieben aus allen Wirtschaftsbereichen, denen die Arbeitskraft der schwangeren Unternehmerin fehlt, unbürokratisch und vor allem kostenfrei zu helfen. Positivbeispiel Österreich — dort wurde das erfolgreich eingeführt. Für Betriebe, bei denen die Arbeitskraft der Selbstständigen nicht ersetzt werden kann, muss es stattdessen finanzielle Unterstützung geben. Es muss Notfalltöpfe geben, mit denen in den betroffenen Betrieben zusätzlich die laufenden Fixkosten übernommen werden.
  • Reform des Elterngeldes, die die Situation von selbstständigen Müttern gesondert bewertet. Vorherige schwangerschaftsbedingte, finanzielle Einbußen müssen abzugsfrei hinzuverdient werden können.
  • Ausbildungsbonus für Betriebe, welche die Auszubildenden während des schwangerschaftsbedingten Ausfalls übernehmen.
  • Kein Antasten von Betriebsvermögen - die Arbeitsfähigkeit des Betriebes muss gewährleistet bleiben.

Um das gesellschaftliche Problem umreißen zu können, müssen Zahlen darüber erhoben werden, welche wirtschaftliche Bedeutung schwangerschaftsbegründete Betriebsschließungen in Relation zu Frauen geführten Betrieben und soloselbständigen Frauen ohne Kinder haben. Dabei müssen alle Branchen erfasst werden. Auch muss erfasst und mitbedacht werden, dass Frauen sich oft schon vorher gegen die Selbstständigkeit oder gegen eine Familiengründung entscheiden.

Die Folgen des Klimawandels und den daraus resultierenden Maßnahmen, gerade im Bau- und Energiesektor, können nur durch mehr Vielfalt auch in den Betriebsführungen gestemmt werden. Nach den Zahlen des ZDH wird mittlerweile jeder 5. Handwerksbetrieb von Frauen geführt. Das könnte man sicherlich durch eine funktionierende und durchdachte Absicherung während der Schwangerschaft ausbauen.

Es würde also eine echte Chancengleichheit und damit Gerechtigkeit geschaffen werden. Angesichts des Fachkräftemangels und fehlenden Betriebsnachfolger*innen für Handwerksbetriebe können wir es uns nicht mehr leisten, auf die fähigen, gut ausgebildeten und talentierten Unternehmerinnen im Handwerk und auch in den anderen Branchen zu verzichten. Dem Handwerker*innenmangel ließe sich durch ermutigende Berufsaussichten und Karrierechancen entgegenwirken, welche politisch und vor allem finanziell gesicherte Rahmenbedingen für die Familienplanung von Gebärenden brauchen.

Mit entschlossenem Gruß
 Johanna Röh, Astrid Hilt (HandwerksGrün e.V.) und Maxime Krämer

Beitrag - über mich und meinen Betrieb vom ZDF:
 https://www.youtube.com/watch?v=r-qxpMN3UVc 

Mein Instagram-Infopost zur Situation schwangerer Handwerksmeisterinnen: https://www.instagram.com/p/CXq744KIxUS/

Teilt eure eigenen Geschichten zu diesem Thema in den sozialen Medien unter #meinewerkstattbleibt für mehr Sichtbarkeit der Problematik!

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