Für diskriminierungskritische Curricula an der Schnittstelle von Bildung und den Künsten!
Für diskriminierungskritische Curricula an der Schnittstelle von Bildung und den Künsten!
Warum ist diese Petition wichtig?
DISKRIMINIERUNGSKRITISCHE PERSPEKTIVEN IN DIE CURRICULA AN DER SCHNITTSTELLE VON BILDUNG UND DEN KÜNSTEN!
Eine plurale Gesellschaft braucht Bildung, deren Inhalte, Methoden und strukturelle Bedingungen nicht von vornherein Ausschlüsse produzieren. Aktuelle bildungspolitische Diskussionen zeigen die Notwendigkeit von diskriminierungskritischen Perspektiven. Wir, die Akteur_innen an der Schnittstelle von Bildung und den Künsten, fordern den Einbezug von diskriminierungskritischen Perspektiven in die Curricula von Schule und Hochschule.
Der Unterricht in der Schule, die Kulturelle Bildung mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die Vermittlungsarbeit in Kultureinrichtungen, die künstlerische Arbeit im sozialen Raum - kurz, die Arbeit an der Schnittstelle von Bildung und den Künsten hat viele Potentiale. Sie kann zu einem selbstbestimmten und selbstermächtigenden Umgang mit Bildern und anderen künstlerischen Ausdrucksformen beitragen; sie kann die Fähigkeit zum Umgang mit Widersprüchen und Uneindeutigkeiten fördern; sie kann gemeinschaftliches Handeln genauso wie Individualität stärken; sie kann vielfältige Formen des Lehrens und Lernens initiieren. Nicht zuletzt bietet sie auf einer breiten Basis Kontakte mit künstlerischen Berufen und Arbeitsfeldern.
Damit die Arbeit an der Schnittstelle von Bildung und den Künsten diese Potentiale in der pluralen Gesellschaft der Gegenwart einlösen kann, muss sie sich verändern:
Sie muss diskriminierungskritisch werden.
Diskriminierungskritisch werden bedeutet, die strukturellen Ausschlussmechanismen an der Schnittstelle von Bildung und den Künsten in den Blick zu nehmen und an ihrer Beseitigung zu arbeiten. Denn die Arbeit an der Schnittstelle von Bildung und den Künsten beinhaltet ihrerseits Diskriminierungshandeln. So zeigen zum Beispiel Studien zur kulturellen Bildung im Kontext Flucht, wie sehr die Diskurse und Praktiken in diesem Bereich von rassistischem Othering geprägt sind.[1]
Die Curricula von Schulen und Hochschulen, sowie die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten weisen in Hinblick auf diskriminierungskritische Perspektiven eine große Leerstelle auf. Diese Leerstelle führt dazu, dass sich die oben genannten Versprechen in der Praxis oft nicht einlösen, sondern im Gegenteil gewaltvolle Ausschlüsse hervorbringen.
Wir fordern Veränderungen in drei Handlungsfeldern:
Kanon: Die Inhalte an der Schnittstelle von Kunst und Bildung
Methoden: Die Vorgehensweisen an der Schnittstelle von Kunst und Bildung
Strukturen: Die Bedingungen an der Schnittstelle von Kunst und Bildung
I. KANON
Die Curricula und Lehrbücher der Fächer Kunst, Musik, Film und Theater in der Schule und auch in der Universität erzählen die chronologischen und formalen Stilgeschichten der Künste anhand einzelner „großer Meister“. Auch heute, im Jahr 2023, finden sich darin weiterhin fast ausschließlich Beispiele weißer europäischer und US-amerikanischer, cis-männlicher Künstler. In seltenen Fällen werden einige wenige Künstler_innen hinzuaddiert. Weitere Geschlechter, Körper und der größte Teil der Welt kommen meistens nicht vor, und wenn doch, dann werden sie durch eine exotisierende und abwertende Brille betrachtet. All das bleibt weit hinter dem aktuellen Stand der Forschung zur Geschichte und Gegenwart der Künste zurück.
Wir fordern eine diskriminierungskritische Aktualisierung, die transnationale Geschichten und Akteur_innen der Künste in das plurale Klassenzimmer bringt! So dass alle Schüler_innen und Studierende sich mit den Künsten beschäftigen können und dabei wissen: Das ist auch für mich!
II. METHODEN
Die in den künstlerischen Curricula und Lehrbüchern vorgegebenen Methoden beruhen auf traditionellen Wertmaßstäben und Werkbegriffen des westlichen Kanons. Sie spornen vor allem individuelle Leistungen an und sind bewertungs- und ergebnisorientiert. Sie bevorteilen Lernende, die eine Vertrautheit mit diesen Handlungsweisen und Denkmustern bereits von zu Hause mitbringen. Selten schaffen sie Raum für kollektives Handeln, Fehlerfreundlichkeit und Suchbewegungen, für den Umgang mit Mehrdeutigkeit und für eine verändernde Gestaltung des Gegebenen.
Wir fordern eine beständige diskriminierungskritische Aktualisierung des in Curricula und Lehrbüchern bislang kaum hinterfragten Methodenrepertoires. Machtkritische Reflexionen über die Gründe, warum bestimmte Methoden als künstlerisch gelten und andere nicht, gehören dazu. Künstlerische Herangehensweisen, die Wissens- und Kunstproduktion als kollektive Prozesse anerkennen und die dazu auffordern, in bestehende Verhältnisse gestaltend einzugreifen, können dazu beitragen, dass niemand mehr denken muss: „Ich bin nicht begabt“.
III. STRUKTUREN
Bislang dominieren mehrheitsgesellschaftliche Perspektiven die Kultur- und Bildungseinrichtungen. Sie setzen Maßstäbe und definieren, welche Akteur_innen, welches Wissen, welche Sprachen, welche Ästhetiken als normal, als wertvoll, als exzellent anerkannt werden. Dadurch werden marginalisierte Gruppen hergestellt und – zum Beispiel rassistische, klassistische, sexistische, cis-heteronormative und ableistische – Ausschlüsse produziert.
Wir fordern: Damit die Inhalte und Methoden in den Curricula verändert werden können, müssen sich Personal- und Wissensstrukturen ändern. Es braucht diskriminierungskritisch informierte und diskriminierungserfahrene Entscheider_innen und Lehrpersonen. Wir fordern die konsequente Besetzung von Entscheidungs- und Gestaltungspositionen an der Schnittstelle von Bildung und Kunst mit Menschen, die unterschiedliche Maßstäbe, Kunstverständnisse und Wissensbestände aus der pluralen Gesellschaft in die Kultur- und Bildungsinstitutionen der Gegenwart bringen. In Schulen, Universitäten und Kulturinstitutionen muss diskriminierungskritische Organisations- und Personalentwicklung, die von intersektional diskriminierungserfahrenen Expert_innen begleitet wird, eine Selbstverständlichkeit werden. So dass zum Beispiel niemand mehr fragen muss: „Warum ist mein Curriculum so weiß?“
DAS MÜSSEN DIE NÄCHSTEN SCHRITTE SEIN
Diskriminerungskritische Perspektiven sollen bundesweit als Qualifikationsziel in allen pädagogischen Berufen an der Schnittstelle von Bildung sowie in den Künsten verankert werden. Sie sind genauso wichtig wie Bildung für den Klimaschutz und wie digitale Bildung. Sie sind mit diesen Themen eng verschränkt.
Wir fordern die Einrichtung einer ständigen Kommission für diskriminierungskritische Bildung in der Kultusministerkonferenz (KMK) – analog zu und verbunden mit den Kommissionen „Bildung in der digitalen Welt“, „Lehrendenbildung“ oder „Qualitätssicherung an Hochschulen“, die sich der Aufgabe einer systematischen Einführung von diskriminierungskritischen Perspektiven in der Aus- und Weiterbildung an der Schnittstelle von Bildung und den Künsten widmet. Die Arbeit der ständigen Kommission muss unter Beratung und Begleitung von Expert_innen der diskriminierungskritischen Veränderungsarbeit erfolgen. Solche Expert_innen finden sich zum Beispiel im Berliner Büro für Diversitätsentwicklung „Diversity Arts Culture“ https://diversity-arts-culture.berlin/
Dringend notwendig ist eine schnellstmögliche, entsprechende Ergänzung zum Beispiel in den ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrer_innenbildung.
Diese Anforderungen müssen auf Länderebene umgesetzt werden, ebenfalls unter Beratung und Begleitung von Expert_innen der diskriminierungskritischen Veränderungsarbeit in Zusammenarbeit mit den zuständigen Akteur_innen in den Bildungsministerien, Fachseminaren und Landesprüfungsämtern. Für diese Umsetzung fordern wir die bundesweite Einrichtung von Anlaufstellen für diskriminierungskritische Veränderungsarbeit an der Schnittstelle, wie sie in Berlin existiert („Diversity Arts Culture“ https://diversity-arts-culture.berlin/)
[1] Siehe hierzu beispielsweise Kulturprojekte Berlin (Hg.) (2017): KULTURELLE BILDUNG IM KONTEXT ASYL. EIN DOSSIER. Download unter https://www.kubinaut.de/media/themen/kubi_imkontextasyl.pdf (28.6.2023) oder Baitamani, Wael / Breidung, Julia / Bücken, Susanne / Frieters-Reermann, Norbert / Gerards, Marion / Meiers, Johanna (2020): „Fakt ist, dass geflüchtete Jugendliche kaum jemals die Chance haben ein Kunstprodukt zu erstellen“ – Kulturelle Bildung für junge Menschen mit Fluchterfahrung im Fokus einer rassismuskritisch positionierten Diskursanalyse, in: „Kulturelle Bildung. Theoretische Perspektiven, methodologische Herausforderungen und empirische Befunde", hrsg. von Susanne Timm, Jana Costa, Claudia Kühn und Annette Scheunpflug, Münster: Waxmann, S. 197-211. Download unter https://katho-nrw.de/fileadmin/media/foschung_transfer/Sonstige_Forschungsprojekte/Kulturelle_Bildung.pdf (28.6.2023)
Diese Petition wurde am 16. und 17. Juni 2023 auf dem Fachgespräch diskrit-kubi_transfer im Schauspielhaus Dortmund kollektiv editiert und verabschiedet. Die im folgenden genannten Personen gehören zu denjenigen Teilnehmenden, die sich als Erstunterzeichner_innen erklärt haben.
Liste der Erstunterzeichner_innen
1. Prof. Dr. Carmen Mörsch (sie/ihr): Kunstdidaktik, Kunsthochschule Mainz
2. Erlisa Mehmeti (sie/ihr): Studium Bildende Kunst an der Kunsthochschule Mainz
3. Jil Bertels (sie/ihr): Studium Bildende Kunst an der Kunsthochschule Mainz
4. Karl Tovar (er/ihm): Studium Bildende Kunst an der Kunsthochschule Mainz
5. Stefan Bast (keine Pronomen/er/ihm): Kunstdidaktik, Kunsthochschule Mainz
6. Golschan Ahmad Haschemi (sie/ihr): Kulturwissenschaftlerin, Künstlerin
7. Nelly Alfandari (sie/ihr): London South Bank University
8. Prof. Ulf Aminde (er/ihm): Weissensee Kunsthochschule Berlin, Bildender Künstler
9. Ulrich Ball (er/ihm): Kunstpädagogik, Akademie der Bildenden Künste München
10. Evelyn Bracklow (sie/ihr): Artistic Research
11. Hamze Bytyci (er/ihm): RomaTrial e.V.-Hall
12. Lee Chichester: Ruhr Universität Bochum, Wissenschaftliche Mitarbeit im kunstgeschichtlichen Institut, dezentrale Diversitätsbeauftragte
13. Wen-Ling Chung (sie/ihr): UdK Berlin, Koordination KontextSchule
14. Prof. Dr. Alicia de Bánffy (sie/ihr): Hochschule Düsseldorf, Sozial- und Kulturwissenschaften
15. Isabel Dotzhauer (sie/ihr): Pädagogische Hochschule Karlsruhe, Institut für Kunst
16. Mag.a. Dr.in Andrea Ellmeier (sie/ihr): MDW, Gender-Koordinatorin im Vizerektorat für Lehre und Frauenförderung
17. Danja Erni (sie/keine): Kunst im Kontext an der UdK Berlin
18. Judith Esposito (sie/ihr): Studium Bildende Kunst an der Kunsthochschule Mainz
19. Christine Gerbich (sie/ihr): Staatliche Kunstsammlung Dresden (Leitung der Abteilung Vermittlung, Outreach und Gesellschaft)
20. Hanna Glaser (sie/ihr): Studium Bildende Kunst an der Kunsthochschule Mainz
21. Sophia Glaszner (sie/ihr): Studium Bildende Kunst an der Kunsthochschule Mainz
22. Ayse Gülec (sie/ihr): Bundeszentrale für politische Bildung
23. Viola Hibling (sie/ihr): Freiberuflich in Kunst, Kultur und Bildung
24. Hennie Hoffmann (keine) Lehrkraft in Hamburg
25. Sarah Hübscher (sie/ihr): TU Dortmund, Wissenschaftliche Mitarbeit
26. Claudia Hummel (sie/ihr) Institut für Kunst im Kontext, UdK Berlin
27. Clara Jacobs (sie/ihr): Studium Bildende Kunst an der Kunsthochschule Mainz
28. Rena Janßen (sie/ihr): Universität Oldenburg, Wissenschaftliche Mitarbeit Musikpädagogik und Intersektionalität
29. Bui Viet Hoa Jin (sie/ihr): Studentische Mitarbeiterin, Berliner Projektfonds, Kulturelle Bildung
30. Prof. Dr. Susan Kamel (sie/ihr): HTW Berlin, Lehr- und Forschungsgebiet Ausstellen und Sammeln in Theorie und Praxis
31. Prof. Dr. Notburga Karl (sie/ihr): Akademie der Bildenden Künste München, Bildende Künstlerin, Lehrstuhl Kunstpädagogik und Fachdidaktik
32. Paula Köllermann (sie/ihr): Studium Bildende Kunst an der Kunsthochschule Mainz
33.Annette Krauss (sie/ihr): HKU Utrecht, Künstlerin und Dozentin
34. Dr. phil. Barbara Lutz (sie/ihr): Kulturwissenschaftlerin und freie Kunstvermittlerin
35. Ulrike Mayer (sie/ihr): MDW, Diversitätsmanagerin und Mitarbeiterin der Stabstelle Gleichstellung, Gender Studies und Diversität
36. Isabel Monroy Moreno (sie/ihr): MMK Frankfurt am Mainz, Leitung der Kunstvermittlung und Inklusion
37. Dr. des. Henrike Plegge (sie/ihr): PH Karlsruhe, Akademische Rätin im Institut für Kunst
38. Aurora Rodonò (sie/ihr): Universität Köln, Lehrbeauftragte am Institut für Kunst und Kunsttheorie
39. Christina Schahabi: Theaterpädagogin am Theater Bremen
40. Miriam Schickler (sie/ihr/they/them): Künstlerische Mitarbeiterin an der Kunsthochschule Kassel
41. Sophia Schlager (sie/ihr): Studium B.Ed. Bildende Kunst an der Kunsthochschule Mainz
42. Ulrich Schötker (er/ihm): Lehrer in Hamburg
43. Diana Schuster (sie/ihr): Kunstvermittlung, Köln/Bottrop
44. Regina Selter (sie/ihr): Direktorin Museum Ostwall, Dortmund
45. Nina Ulbrich (sie/ihr): Referentin Studium, Diversity, Antidiskriminierung an der Kunsthochschule Kassel
46. Viktoria von Pidoll (sie/ihr): Wissenschaftliche Volontärin Museum Ostwall, Dortmund
47. Eva Weinmayr (sie/ihr): ADBK München, Kunstdidaktik
48. Dr. Antje Winkler (sie/ihr): Kunstpädagogin Universität Potsdam
49. Stephan_ie Zeiler (keine): Engagement im Forum Decolonizing Academia, Köln
50. Helin Zengin (sie/ihr): Studium Bildende Kunst an der Kunsthochschule Mainz
51. Dr. Leonie Zilch (sie/ihr): Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Filmwissenschaft am Institut für Film-, Theater-, Medien- und Kulturwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
52. Marcela Braak: KomMig: Beratung und Projektleitung
53. Prof. Dr. Lesley-Ann Noel (sie/ihr): Critical & Pluriversal Design, Assistant Professor of Media Arts, Design and Technology, North Carolina State University
54. Shanti Suki Osman (sie/ihr): Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
55. Suy Lan Hopmann (sie/keine): Freie Kuratorin
56. Dr.in Marty Huber (sie/ihr): Queer Base, Institut für künstlerisches Lehramt - Akademie der bildenden Künste
57. Lic. Carla Bobadilla (sie/ihr): Akademie der bildenden Künste Wien